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Josef Pfitzner zu Besuch in der Lockenmühle

Wenn am 27. und 28. Juli die ehemalige Gemeinde Neustetten die erste urkundliche Erwähnung vor 850 Jahren feiert, dann werden auch viele Kinder, die in der Nachkriegszeit dort die Schule besuchten, wieder in ihre Heimat zurückkehren. Den weitesten Weg zurück nach Neustetten wird von den ehemaligen Schulkindern im Juli vermutlich Josef Pfitzner haben. Er lebt seit Jahrzehnten im kanadischen Vancouver an der Pazifikküste.

Fast die Hälfte der Kinder im einzigen Raum der einklassigen Schule Neustetten waren nach 1945 Flüchtlingskinder, die mit ihren Eltern aus den Ostgebieten vertrieben wurden. Insgesamt galt es 184 Heimatvertriebene - 52 Männer, 70 Frauen und 62 Kinder _ in Neustetten, Hainklingen, Schmalnbühl und Lockenmühle _ unterzubringen. Danach hat es viele von ihnen bei der Suche nach Erwerbsmöglichkeiten bald in verschiedenste Regionen verschlagen.

Pfitzner wurde 1943 in Schlesien geboren, wo seine Eltern eine größere Landwirtschaft besaßen und Trakenerpferde züchteten. Schon seit geraumer Zeit spürt er bei seinen Besuchen im „Waldidyll“ Lockenmühle seinen Wurzeln nach. Von Landsleuten erfuhr er, dass sein Vater als einziger im Dorf in Schlesien mit einem Sechsergespann fahren konnte. Doch für den Ostfeldzug wurden die Pferde beschlagnahmt und auch der Vater musste in den Krieg ziehen und kam erst 1950 aus der Gefangenschaft zurück.

1946 musste die Mutter mit den ein, zwei und drei Jahre alten Kindern die Heimat in Groß-Kunzendorf im Kreis Neise im Grenzgebiet zwischen dem preußischen Teil und dem einst von Maria Thersia beherrschten Teil Schlesiens Hals über Kopf verlassen. Früh um 5 Uhr klopfte es und es kam der Befehl, mit dem Zug um 6 Uhr Richtung Westen zum Grenzübergang Furth im Wald zu fahren. Nach vorübergehenden Aufenthalten in Schwaben landete die damals 32 Jahre alte Mutter mit ihren drei kleinen Kindern in Hainklingen und arbeitete im damaligen Altenheim im Schloss Virnsberg. Erst 1950 kam der aus russischer Gefangenschaft entlassene Vater zur Familie, kaufte 1956 ein Anwesen mit kleiner Landwirtschaft in der Lockenmühle und transportierte mit seinen Pferden Jahrzehnte lang die Milch der Bauern aus Ruppersdorf und Kettenhöfstetten zur Molkerei in Flachslanden.

Die Eltern von inzwischen sechs Kindern hatten schon von Schlesien die Erkenntnis mitgebracht, wie wichtig Bildung ist und es nötig ist, den Sprösslingen Selbstbewusstsein beizubringen. So besuchte der 13-jährige Josef zwei Jahre die Handelsschule in Ansbach und scheute nicht davor zurück, täglich die sechs Kilometer zum Bahnhof Rosenbach zu laufen.

Die Sehnsucht, in die weite Welt zu reisen, wurde in dem Buben unter anderem mit Sammelbildern und Alben der Sanella-Margarine geweckt. Hinzu kamen Erzählungen von einem Onkel, der als Offizier der Kriegsmarine verschollen ist. Dies weckte den Wunsch, zur See zu fahren. So begann der junge Josef eine Ausbildung an der Seemannschule in Bremervörde und auf dem ersten Dampfer „Grönnebek“ ging es bald bis in die Karibik, an die Küste Afrikas und Norwegens. Nachher war der junge Seemann Pfitzner im Küstenverkehr entlang der Nord- und Ostsee tätig, bevor er auf einem Öltanker Dienst tat, der regelmäßig vom Persischen Golf durch den Suezkanal zu den großen Häfen Europas unterwegs gewesen ist. 

Doch als 19-jähriger wollte Josef Pfitzner mehr Einblick in die Geschäfte bei der Seefahrt bekommen und begann in Hamburg eine Lehre als Schiffsmakler und Agent bei der bekannten Firma Knöhr & Burchard. Mit ihm zusammen war auch der Sohn des bekannten Unternehmers August Oetker. Nach einer kurzen Tätigkeit bei den US-Streitkräften in Fürth erfolgte dann 1966 die Auswanderung nach Kanada, um in Vancouver als Vermittler von Schiffsladungen tätig zu sein.

Nach dem seine 1968 in Holland geheiratete Frau, mit der er zwei Kinder hatte, 1980 verstarb, verbrachte der agile Auswanderer von der Lockenmühle erst mal eine Auszeit, die er auf der Pazifikinsel Tahiti verbrachte. Dort traf er auch mit dem Filmproduzenten Marlo Brando („Die Meuterei auf der Bounty“) auf dessen Privatatoll Tetiaroa zusammen.

Danach war der ausgewanderte Franke vielseitig aktiv und unter anderem als Verkäufer von Leitern in ganz Kanada unterwegs und half bei der Suche nach Gold beim Abräumen von Sandvorkommen.

Sein Vorhaben, dem Leben seiner Ahnen nachzuspüren, hat erst vor wenigen Tagen einen neuen Schub erhalten. Beim Besuch der Gedenkstätte Dachau stellte er fest, dass sich in seinem Heimatort Groß-Kunzendorf ein Arbeitslager der nicht weit entfernten KZs der Nazis befand. Er könne sich zwar vage erinnern, dass die Mutter von Gefangenen erzählte, die hier arbeiteten, doch habe man das als Kind nicht besonders wahrgenommen.

Rückblickend stellt Josef Pfister fest, dass er seinen Weg nicht bereut. Im Gegensatz zu zwei Männern aus Neustetten, die vor 130 Jahren aus bitterer Not nach Nordamerika auswanderten, hat er es vorrangig aus Abenteuerlust getan, aber auch um perfekter Englisch zu lernen als Voraussetzung für den Beruf des Schiffsmaklers. Er erinnert sich noch gut an den Ratschlag von Matrosen am Ende der Überfahrt: „Gott schütze dich vor Sturm und Wind und Deutschen die im Ausland sind.“ Er versteht darunter, sich nicht an Landsleuten anzulehnen, sondern Gespräche mit Einheimischen und in deren Sprache zu suchen. Fritz Arnold

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In unregelmäßigen Abständen kommt der Auswanderer Josef Pfitzner immer wieder ins „Waldidyll“ Lockenmühle, um seinen Bruder und die ehemaligen Freunde zu besuchen. Foto: Fritz Arnold